Mittwoch, 18. September 2013

Geh' nicht hin, echt jetzt! - Eine Lanze brechen für Jürgen Milski

Ich muss hier wirklich mal einen Lanz eine Lanze brechen für Jürgen Milski. Denn was da kürzlich bei Lanz über den Äther ging, brachte mich echt zur Weißglut. Jürgen Milski (muss man nicht unbedingt kennen) outete sich dort nämlich als bekennender Nichtwähler. Dass man ihn dafür nicht aus dem Studio prügelte oder an Ort und Stelle verbrannte, war aber auch wirklich alles. Insbesondere von Sophia Thomalla (muss man auch nicht kennen) - die für ProSieben in einer Art Wahl-Task-Force junge Menschen zum Wählen animieren durfte/musste/sollte - glänzte mit so geistreichen Vorwürfen wie: "Du weißt aber schon, wo die Stimmen dann hingehen, wenn du nicht wählen gehst, oder?"

Äh, Moment mal... Wenn ich nicht wählen gehe, bekommt also trotzdem jemand meine Stimme? Wollte sie das wirklich damit sagen? Das mag ja in Russland oder dem Iran so zugehen, aber nicht in Deutschland. Traurig nur, dass das der Thomalla keiner erzählt hat. Stoßrichtung ihres völlig unqualifizierten Einwands war aber vermutlich folgende. Kleine Parteien (also auch jene rechts und links der Mitte) profitieren tendenziell von einer niedrigen Wahlbeteiligung, zumindest sofern sie ihre Stammwähler trotzdem mobilisieren können. Diese These macht allerdings nur dann Sinn, wenn man voraussetzt, dass der Nichtwähler den etablierten Parteien nahe steht.

Und genau da hinkt diese Überlegung auch schon. Ein überzeugter Nichtwähler geht schließlich gerade deshalb nicht wählen, weil er mit den etablierten Parteien nichts anfangen kann. Auf die Idee kam in der Runde aber mal wieder niemand. Stattdessen hagelte es weitere polemische Anfeindungen Richtung Milski. So lautete der nächste Vorwurf von Michael Spreng, dass er (Milski) sein Wahlrecht nicht einfach so verschenken dürfe, vor dem Hintergrund, dass überall auf der Welt Menschen sogar mit ihrem Leben für ein solches kämpften.

So ein Nonsense! Die Menschen kämpfen nicht etwa für ein Wahlrecht, sondern für bessere Lebensumstände. Sie sehen in einer Demokratie lediglich den besten Weg dorthin. Die Demokratie ist also nicht das erklärte Ziel, sondern der Weg bzw. ein Mittel zur Durchsetzung höherer Ziele. Das ist ein großer Unterschied! In den Vereinigten Arabischen Emiraten kämpft ja auch keiner mit seinem Leben für eine Demokratie. Warum auch, es geht den Menschen schließlich gut oder zumindest gut genug.

Den krönenden Abschluss setzte aber der Moderator selbst. Man könne Milskis Aussage ("Ich finde Demokratie wichtig") nicht ernst nehmen, wenn er gleichzeitig bekennender Nichtwähler sei. Applaus im Publikum. Das ist leider mal wieder bezeichnend. Man erntet für so dumme, polemische und vor allem inhaltlich falsche Aussagen auch noch Applaus.

Lanz und Konsorten haben offenbar ein völlig falsches Demokratie-Verständnis. Fakt ist, dass es sich bewusst um ein Recht und keine Verpflichtung handelt! Die Möglichkeit, sich seiner Stimme zu enthalten, ist fester und wichtiger Bestandteil einer Demokratie. Ob die Stimmenthaltung nun mangels Alternativen, aus Neutralität, Desinteresse oder Protest erfolgt, ist dabei unerheblich. Man stelle sich nur mal vor, im UN-Sicherheitsrat hieße es: Krieg gegen Syrien - Ja oder Nein? Ohne Enthaltung, ohne Vetorecht. Es könnte dann 8 zu 7 ausgehen. Chaos wäre da vorprogrammiert.

Die Stimmenthaltung ist ipso facto ein durchaus politischer Akt! Und gerade deshalb ist es eine regelrechte Schande, wie konsensfähig es in dieser politischen Kultur doch ist, Nichtwähler anzugreifen und zu diffamieren. Das nimmt schon fast faschistische Züge an. Dabei scheinen die selbsternannten Demokratiehüter gar nicht zu bemerken, dass sie damit ihr vorgebliches Anliegen in Wirklichkeit unterminieren.

Warum vorgeblich? Ganz einfach. Leute wie Lanz und Thomalla mögen vielleicht nicht den Intellekt besitzen, um sich der Widersprüchlichkeit ihres Anliegens (ihrer Argumente) bewusst zu sein, doch diese Meinung zieht sich quer durch alle Mainstream-Medien. Dass es aber allen Medien-Machern, den Politprofis sowie den Initiatoren der "Geh nicht hin" oder "Geh wählen"-Initiative an Intellekt mangelt, darf dann doch bezweifelt werden. Das tatsächliche Bestreben dürfte folglich ein anderes sein.

Und tatsächlich wollen sie uns nämlich nicht nur vorschreiben, dass wir wählen sollen, sondern auch wen! Und zwar die Personen und Parteien, denen sie selbst eine Plattform bieten und Aufmerksamkeiten schenken. Im Klartext sollen wir unsere Stimme also den etablierten Parteien schenken. Dass das nichts mehr mit Demokratie zu tun hat, ist offensichtlich. Das ist eine Scheindemokratie, eine, in der der Grundgedanke soweit pervertiert wird, dass selbst rechtlich zugelassenem, demokratische Parteien in der öffentlichen Meinung unwählbar gemacht werden.

Welches tatsächliche Interesse hinter diesen Aussagen und Kampagnen steckt, dürfte auf der Hand liegen: Den Status quo zu bewahren. Und die Chancen dafür stehen gut, denn - Demokratie hin oder her - letztendlich sind die herrschenden Gedanken stets die der Herrschenden. Welches Interesse sollten wohl z.B. die Öffentlich-Rechtlichen daran haben, die Machthaber, die ihnen regelmäßig Gebührenerhöhungen und -reformen genehmigen, zu stürzen? Man wird wohl kaum die Hand beißen, die einen füttert.

Milski hat gar nicht so unrecht, wenn er sagt, dass man mit seiner Stimme nichts verändern kann. Beispiel gefällig? Die Grünen waren mal eine Antikriegspartei, bis sie an der Regierung beteiligt waren und selbst Kriegseinsätze legitimierten. Und bisher hat noch jede Regierung, egal ob Rot-Grün, Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot der NSA den rechtlichen Boden für Spionage bereitet. Will sagen, es wäre naiv zu glauben, dass sich die etablierten Parteien in ihrer tatsächlichen Politik wirklich gravierend voneinander unterscheiden könnten. Dafür sind Berater und Einflüsterer einfach zu mächtig.

Wie uns unsere Mainstream-Medien aber wieder alle unisono an die Wahlurne trommeln wollen und jeden Nichtwähler gleich zum Extremisten erklären, ist echt zum Kotzen. Es kann nicht angehen, dass ein demokratischer Akt, wie die Stimmenthaltung, in der öffentlichen Meinung praktisch kriminalisiert wird. Dahinter steckt nämlich keineswegs der edle Wunsch nach echter Demokratie, sondern lediglich das Bestreben, die bestehenden politischen Machtverhältnisse zu perpetuieren!

2 Kommentare:

  1. " Diese These macht allerdings nur dann Sinn, wenn man voraussetzt, dass der Nichtwähler den etablierten Parteien nahe steht."

    Du gehst dann aber davon aus, dass sich der Nichtwähler genauso weit von den etablierten Parteien distanziert, wie zB von der NPD. Und ich denke das ist in den meisten Fällen falsch.

    Man eine ungültige Stimme abgeben, das macht eher Sinn.

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    1. Ich gehe lediglich davon aus, dass ein überzeugter Nichtwähler deshalb nicht zur Wahl geht, weil er mit den etablierten Parteien nichts (mehr) anfangen kann. Das bedeutet eigentlich fast zwangsläufig, dass er einer der Randparteien (inhaltlich) näher steht. Ob dies nun auf NPD, Piraten, Violette, Tierschutzpartei, AfD, ÖDP oder sonst wen zutrifft, spielt dabei ja gar keine Rolle.

      Die Abgabe eines ungültigen Wahlzettels macht eigentlich überhaupt keinen Sinn! Der Effekt einer ungültigen Stimme ist der gleiche, wie der einer Stimmenthaltung! Die Sitzverteilung basiert schließlich ausschließlich auf den gültigen Stimmzetteln. Wozu sich also die Mühe machen?

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